„Das Zeichnen der Welt“ – Pieter Bruegel d.Ä. in der Albertina

„Pieter Bruegel der Ältere ist der bedeutendste niederländische Zeichner des 16. Jahrhunderts. In einer Epoche der politischen, sozialen und religiösen Umbrüche entwirft Bruegel eine komplexe Bildwelt: Humorvoll und volksnah, scharfsinnig und zutiefst kritisch reflektiert er die gesellschaftlichen Verhältnisse und thematisiert die Tragik und Größe, die Lächerlichkeit und Schwäche des Menschseins.“

So kündigt die Albertina die Ausstellung „Das Zeichen der Welt“ ein. Neugierig zu erfahren, inwieweit Bruegel als Avantgarde des Barock die grundsätzliche Perspektive aufgreift, dass  Welt letztlich ein Selbstentwurf ist, sprach ich mit der Kuratorin Dr. Eva Michel. Offenbar lässt sich eine eindeutige Antwort auf diese Frage lässt  nicht geben, Bruegel entzieht sich jedem einordnenden Blick. Doch ist sein Blick eher ein sezierender, der menschlichen und landschaftlichen Gesamtzusammenhängen gilt. Dabei interessiert ihn die Anatomie der Natur weit mehr als die der Menschen, und Misszustände und Fehlschöpfungen mehr als Idealbilder oder Wunschzustände. Er seziert, karikiert und denunziert Welt.

Ausgerechnet in einer Zeit des Bildersturms (1566), die die Berechtigung des Abbildens der Welt in Frage stellte, machte sich Pieter Bruegel an ein genaues Studium und kritisches Zeichnen von Landschaft und Gesellschaft. Insbesondere den Zusammenhang von Kunst und ihren Käufern hinterfragte er zynisch, obwohl er selbst in dem Widerspruch stand, auf den Verkauf seiner Kunst angewiesen zu sein. Für die Verbreitung seiner Kunst setzte er die neu zur Verfügung stehende Druckgraphik ein, obgleich sich auch diese immer noch an eine begrenzte kaufkräftige Schicht wendete, also keineswegs an die Bauern, die er so oft malte. Sie diente auch als Experimentierfeld. Die Zeichnungen hingegen galten einerseits der Vorbereitung seiner Gemälde oder Druckgraphik, insofern konnten sie spontaner, intimer und gewagter sein als die Gemälde, waren andererseits aber oft auch autonome Werke. Laut seines Biografen soll er aus Furcht davor, dass seiner Familie durch eine eventuelle posthume Veröffentlichung seiner kritischen Werke Nachteile erwachsen hätten können, seine Frau angewiesen haben, diese Werke zu vernichten.

Von seiner Italienreise lassen sich interessanterweise keine Einflüsse aus der Hochrenaissance wie bei vielen anderen Künstlern seiner Zeit finden, er hatte überhaupt keinerlei Interesse an Anatomie und Körperzeichnung, interessierte sich nur für die Erfassung der Landschaft. Zudem hatte er weltliche, keine kirchlichen Auftraggeber, arbeitete in einem völlig anderen sozialen Kontext als beispielsweise ein  Raffael. Oft dokumentiert die Gräuel seiner Zeit, idealisiert nicht. Dennoch sind seine Darstellungen nicht  im heutigen Sinn realistisch, sondern typisieren, seinen moralischen Vorstellungen entsprechend.

Das „Bauern-Bruegel“-Klischee stammt aus dem 19./Anfang 20. Jahrhunderts, entspricht aber keineswegs seiner damaligen Wirklichkeit. Sein Blick auf die Bauern ist der eines Städters, oft ein belustigter, auf jeden Fall distanzierter Blick.

Hieronymus Bosch war ein großes Vorbild für Bruegel, ihm gegenüber sind Bruegels Werke weniger „höllisch“ und angsterregend, sie sind leichter, zuweilen fast lustig. Darin unterscheidet er sich sehr von der sonstigen Bosch-Nachfolge und ist er für heutige Betrachter sehr zugänglich.

Wichtig war auch die Einbettung von Bruegel in den künstlerischen Kontext seiner Zeit, so begannen Künstler zu Beginn der Renaissance überhaupt erst, sich für die Umwelt – landschaftliche und soziale Kontexte – zu interessieren.

Für diese Ausstellung wurde der Eigenbestand der Albertina gründlich durchforstet –  es kamen erstaunlich viele neue bzw. noch nicht ins Werkverzeichnis aufgenommene Werke zum Vorschein. In der Web-Online-Datenbank sind alle diese Werke – auch über die aktuelle Ausstellung hinaus – zugänglich.