Jean Cocteau – der globale Avantgardist

Jean Cocteau an der Côte d’Azur – der Poet als Bote zwischen Hölle und Licht

chapelle villefrancheAufzeichnungen aus einem Gespräch mit Franςoise Leonelli, der Leiterin des „musée Jean Cocteau collection Séverin Wunderman“, der größten Cocteau-Sammlung, die seit 2011 in einer eigens dafür errichteten Museumsskulptur am Meer von Menton öffentlich zu genießen ist.

Wieso Jean Cocteau in Menton? Wie kam es zu der Sammlung Séverin Wunderman und wie zu dem Museum, welches speziell dafür errichtet wurde?

Cocteau kam seit je her und sehr oft an die Côte d’Azur, vor allem auch mit seiner Mutter, um Freunde wie Picasso und Matisse, die sich hier zum Teil sogar niedergelassen hatten, zu besuchen. Er liebt das Leben im Süden sehr. Selbst ansässig an der Côte wird Cocteau zwischen 1950 und 1960. Ihn lockt das Licht des Mittelmeers, und das Mittelmeer ist als Wiege unserer Zivilisation und als Quelle der Mythologie von tiefer Bedeutung für sein Schaffen. Orpheus hat er zu seinem Mythos in doppeltem Sinn gemacht, Orpheus als Dichter und als derjenige, der in die Hölle gegangen und zurückgekehrt ist. Für Cocteau ist O das Symbol für den Poeten, der auf die andere Seite des Spiegels, auch des Spiegels im Porträt, hinübergeht und in unsere Welt zurückkehrt, der von der Welt der Dichtung und Kreation in die Welt des Publikums wechselt, ein permanentes Spiel. Der Dichter bringt etwas ans Licht, beleuchtet es. Und dafür stehen die Figuren Orpheus und der Engel Heurtebise.

2) In diesem Zusammenhang kommt er an die Côte d’azur, kennt dort besonders gut Villefranche, wo er zunächst im Hotel wohnt.1950 wohnt er dann bei Francine Weissweiller in deren Villa Santo Sospir in Cap Ferrat, beginnt, sie auszumalen. Damit begegnet er zum ersten Mal dem Genre Wandmalerei. Dem Beispiel von Matisse folgend, der sagte „wenn du eine Wand zu malen begonnen hast, hast du sie alle bemalt“, schließen sich dann die Kapelle von Villefranche an und schließlich, beauftragt von Francis Palmero, dem damaligen Bürgermeister Mentons, la salle de mariage im Rathaus von Menton. Im Zuge dieser Arbeiten kann man eine schöne Entwicklung beobachten, die schließlich zur Befreiung der für ihn typischen labyrinthischen Linie ist, die er nach einem Besuch von Knossos „style de Knossos“ nennt. Dadurch kommt es dazu, dass er sich in Menton niederlässt. Nach der salle de mariage bittet er darum, die kleine leerstehende Bastion am Hafen zu einem ersten kleinen Cocteau-Museum umgestalten zu können – ein bisschen wie Picasso im Grimaldi-Museum in Antibes. Hierfür entwickelt er insbesondere die sehr mediterranen farbenfrohen Pastelle der „innamorati“. Damit hat Menton eine deutliche Prägung durch Cocteau erhalten und bewahrt.

Die letzten 10 Jahre seines Lebens, bevor er nach Milly-la-Foret zurückkehrt , wo er stirbt, hat er hier verbracht. Diese Jahre sind sehr wichtig, auch durch den permanenten Kontakt mit Picasso, der zugleich schwierig und beflügelnd war.

 

3) Welche Rolle hat Wunderman dabei gespielt

L: Er ist Sammler, kommt aus den Staaten, Kalifornien, er hatte dort schon ein kleines Museum eröffnet mit wechselnden Ausstellungen. Er bezieht Ende 1990er jahre mit seiner Sammlung Residenz im Schloss von La Colle-sur-Loup und sucht einen Ort für seine Sammlungen. Das zentrum dieser Sammlung ist Cocteau, W sammelt aber darüberhoinaus und darum herum, z.B. gibt es eine große Sammlung S. Bernhardt, C war ja sehr Theater begeistert, nannte diese Passion „le mal de rouge et or“. Er sammelt alles, womit Cocteau in Kontakt war und das waren viele künstlerische und gesellschaftliche Bereiche.

 

 

Zu Lebzeiten gab es von Kollegen und Zeitgenossen den Vorwurf der Oberflächlichkeit , man nannte Cocteau einen „touch à tout“. Das hat sich heute geändert, denn gerade diese Vielseitigkeit ist ja geradezu Bedingung für aktuelle Kunst geworden. Insofern ist Cocteau sehr modern. Er konnte ganz leicht von einer Kunstgattung zur anderen wechseln, von Malerei, zu Video und Film, von Skulptur zum Theater, von Zeichnung zu Tapisserie undKeramik. Das hat sich seinem Wesen gemäß einfach so ergeben – fragmentarisch, es war nicht von vorneherein konzipiert wie bei heutigen Künstler. Daher vergeht zur Zeit kaum eine Woche, ohne dass etwas über Cocteau zu hören oder zu lesen ist.

 

 

4) Cocteau selbst bezeichnet sich als Poeten. So wird er auch zunächst bekannt. Doch heute kennt man ihn eher als den Filmemacher von la belle et la Bete z.B., selbst wenn diese Filme heute ein Lächlen hervorrufen. Diese Filme haben auch Filmgeschichte geschrieben, sind Vorläufer der Nouvelle Vague. C s Arbeiten wirken imme sehr einfach, sind aber tatsächlich sehr komplex, weil er sein ganzes Universum in jedes werk legt, jedesmal neu entwickelt. Seine Themen sind der Vorwand. Diese Vorläuferschaft von C ist heute anerkannt.

 

Er selbst hatte einfach einen sehr offenen geist und ist seiner Intuition, seiner Leidenschaft gefolgt, nicht unkontrolliert allerdings, sondern klar und wohlüberlegt. Ein Beispiel ist seine Homosexualität, die er zu einer Zeit, wo das sehr schierig war, nie versteckt hat, sie lag klar zu tage. Er hat sein Tun immer dem Publikum präsentiert. Von vielen wurde er nicht voll akzeptiert, z.B. von Andre breton. von anderen z.T. Picasso z.B. hat ihn neben sich als freund akzeptiert. Und C versteht, es sich mit Freunbden zu umgeben und Verbindungen um sich herum zu schaffen, genauso wie er es auch zwischen seiner Imagination und seinen Arbeiten und dem Intellektuellen und Künstlerischen getan hat.

5)

Ähnlich wie von Jacques Prévert, diesem anderen unbekannten bekannten französischen Dichter kann man auch von Jean Cocteau sagen, dass er ein großer Freund war. Die Freundschaft galt beiden ihm als ein tieferes Band sogar als eine Beziehung oder Liebe, ein auslöschbares und von gleich zu gleich. Liebesbeziehungen hatte Cocteau viele in seinem Leben, mehr oder weniger bedeutsame, doch das hatte eher etwas mit Leidenschaft zu tun, etwas Vorübergehendem. „ich glaube, er war ein außergewöhnlicher Freund“ (L)., treu und nahe. Für alle um ihn herum war er sehr offen, gerade auch junge Menschen. Entsprechend umfangreich war seine Korrespondenz. In dieser Hinsicht war er das Gegenteil eines oberflächlichen mondänen menschen, der er auch sein konnte.

Überhaupt mag Cocteau Kontraste wie Schwarz-weiß, Schatten und Licht, sie liegen in seiner Natur wie seinem Werk. „La belle et la bête“ ist ganz aus einem Spiel zwischen Licht, la belle, und Schatten, la bête, gemacht.

6)Le mal d’être de Jean Cocteau? „La difficulté d’°etre“ titre un de ses écrit… Il a eu une enfance assez heureuse jusqu’au suicide de son père qui l’a beaucoup marqué, même s’il en parle peu directement dans son oeuvre. Mais indirectement surement, car le sentiment de la mort l’accompagne beaucoup et sa descente aux enfers est permanente dans son oeuvre comme symbole du travail poe´tique, mais s’exprime également dans son rapport intense à l’opium. Tief steigt er hinab in die „Hölle“ in seinem Schöpfungsakt.

Das Opium schafft die künstliche Verbindung zum Schlaf, denn der Schlafende erfährt wandert zwischen der Welt der Träume des Tagesbewusstseins hin und her. Das verbindet Cocteau mit den Surrealisten, insbesondere dem große Schläfer Robert Desnos, der zugleich einer der aktivsten französischen Widerstandskämpfer war. Diese mittlerrole habe auch die Figuren des Ange Heurtebise und Orpheus.

 

7)??Die damit verbundene Gefahr ist ihm bewusst, das Dichten ist eine Opfer-gabe. In dem kleinen Filminterview „Testament pour l’an 2000“ (Testament für das Jahr 2000) drückt er sich dazu sehr deutlich aus. Er schlägt von seiner Zeit aus als quasi schon Toter die brücke zur imaginierten Jugend des Jahres 2000, stellt viele Fragen nach dem Zustand der Welt. Und dann hat er die kleine Botschaft: „Ich bleibe bei euch.“

Wie das geht, erklärt er in komplexen Texte, die sich an die Jugend, auch die heutige, richten, vor allem in der Schrift „Die Schwierigkeit zu sein“. Darin beschreibt er, wie durch die Tinte die Worte in den Körper des Lesenden hineinfließen und ihren Sinn übertragen. Dadurch entstehen Blutsbande zwischen dem toten Dichter und dem lebenden Leser und dieser lässt den Toten wieder auferstehen. Diesen Prozess inkarniert der Film „Das Testament des Orpheus“.

 

8) Auch im spirituellen Bereich navigiert Jean Cocteau zwischen Gegensätzlichem. Er interessiert sich für die moderne Wissenschaft, z.B. Einsteins Relativitätstheorie. Die führt ihn ganz selbstverständlich zur Annahme von Parallelwelten. Es gefällt ihm, dass die Wissenschaft es möglich macht, sich die Koexistenz aller Menschen vorzustellen. So kann er weiterleben und weitergeben. Seine bez zum Christentum ist sehr symbolisch, sie hat weniger etwas mit religion zu tun, es ist teil seines Kosmos – wie ein Sternbild. das von Orphues z. B. In den Sternbildern findet er seine Freunde wieder.

 

9) Cocteaus Position innerhalb der Kunst- und Geistesbewegungen seiner Zeit?

Eigentlich entwischt er ganz bewusst allen –ismen und hat doch Anteil an ihnen allen, probiert alles aus, wagt sich an alles heran – ein Dandy-Punk vor der Zeit? Dazu äußert er sich selbst am besten – weshalb und warum und inwiefern. Man könnte sagen, er gehöre zum globalen Avantgardismus an sich, gehört zu den Pionieren seiner Zeit., mehr als man das gemeinhin vermuten würde, und seinen eigenen antiken und klassischen Referenzen zum Trotz. Aber letztere dienten ihm als Sockel, als Ausgangsbasis für neue Wege. Und die führten in alle Richtungen in einer Zeit, in der sehr viel passierte. Doch bei all’ dem ist er wesentlich Poet geblieben. Wie in „Le sang d’un poète“ öffnet C alle Türen, schaut durch alle Schlüssellöcher.

 

 

 

10) C zwischen dem Vorwurf des Dekorativen und Licht und Farben des Mittelmeeres. Für die C-Fachleute ist seine Periode am Mittelmeer nicht die stärkste. Doch für ihn war es eine Zeit der Erholung, das Zeichnen und Malen war für ihn ein entspannender Ausgleich für das anstrengende Schreiben. Die hier entstandene Serie der „innamorati“ regruppiert alle Themen, die ihm das Mittelmeerische antragen – die Welt der Sonne, der Farben, die Liebe. Hier wird er auch sehr fröhlich und sehr kubistisch, lässt sich von Picasso inspirieren. Und das als Ausgleich zu den düsteren tiefgründigen schriftlichen Arbeiten zum Ödipusthema. Das Mittelmeer ist für ihn also Rückkehr zu den Wurzeln der Zivilisation und Quelle des Auftankens.

 

Heute kann man nicht mehr einfach entspannt ins Mittelmeer steigen, die vielen Ertrunkenen der aktuellen Flüchtlingswelle sind omnipräsent, die Zerstörung der Mittelmeerkulturen ist unübersehbar. Deshalb gab es im musée Jean Cocteau auch zeitgleich zur Cocteau-Ausstellung eine reflexive zeitgenössische Arbeit „La chambre d’Orphée“ von Anne und Patrick Poirier. Cocteau hätte natürlich auf die aktuelle Situation reagiert.

Zum Turnus des Museum: Es gibt keine ständige Sammlung, sondern wechselnde Jahresausstellungen zu Cocteau und dazu kleinere themenspezifische Hängungen. Zur Zeit bereiten wir eine neue Ausstellung, die sich um den Sammler Séverin Wunderman selbst dreht. Damit hätten wir seit Gründung des Museums einmal alle Werke ausgestellt. Darauf wird eine Ausstellung zu Rduy Ricciotti, dem Architekten des Museums geben, der sich vom Werk Cocteaus selbst hat inspirieren lassen.

Impressionen aus dem musée Jean Cocteau in Menton an der Côte d’Azur.