Zwischen Askese und Genuss. Axel Dörner

in „Präsentationen. Positionen aktueller Musik“, einer Vortragsreihe des Verbands aktueller Musik Hamburg

 „Ohne stetig die eigene Position zu bestimmen, könne ein Mensch sich nicht fortbewegen.“      Daniel Kehlmann, (1)

 

Die Stühle und ein Stuhl stehen sich gegenüber. Der Stuhl, auf dem der Musiker Position beziehen wird, wenn das Publikum erwartungshaltungsgemäß die Stühle eingenommen haben wird. »Mir scheint, ich drehe mich im Kreise. Vielleicht drehe ich mich auch nicht im Kreise. Vielleicht gibt es gar keinen Kreis.“ (2)

Im besten Sinn absurd-atavistisch mag eine solche Präsentation anmuten in Zeiten einer Fluxus geprägten Performancekunst, in der die raffinierte raumzeitliche Positionierung von Klang generierenden und absorbierenden Zeichen und Elementen im Horizont künstlerischer Dispositive das komplexe Thema vorgibt. In Zeiten, in denen das Präsentieren an sich das Präsentierte ist und vice versa.

So präsentiert “sich“ jedenfalls Axel Dörner. Klassisch-frontal. Setzt sich aus, setzt das Publikum sich aus. Setzt sich mit seiner Trompete. Auseinander. Auseinandersetzung mit Aufführungspraktiken und Hörkonventionen. Denn das, was aus Axel Dörners Aerophon herausströmt, -rauscht, -haucht und -faucht, dürfte letzteres selbst erstaunen, auch, wenn es als Posaunen ähnliche Ferguson-Trompete „Zug“ gewohnt ist. Auch Witz kann man hören…

Was bedeutet „Positionen präsentieren“ im Falle der Musik? Was kann, darf oder muss heute ein Musiker über seine Musik selbst hinaus von seiner Musik erklären? Sollte sich künstlerische Selbstdarstellung nicht musikalisch-werkimmanent vollziehen? Oder partizipiert gerade die verbale Positionierung des zeitgenössischen Künstlers essentiell am Werk und sollte auch als solche reflektiert werden? In diesem offenen Fragehorizont „präsentiert“ sich die Hamburger Veranstaltungsreihe „Präsentationen. Positionen aktueller Musik“,, organisiert vom Verband aktueller Musik Hamburg.

„Habt ihr dazu irgendwelche Fragen? War das alles sonnenklar?“

„Es gibt mehrere Positionen gleichzeitig, in denen ich mich befinde“, antwortet Axel Dörner bereitwillig resistent. „Man assoziiert eine räumliche dreidimensionale Vorstellung mit dem Wort Position.“ Doch könne man auch eine sprachliche oder gedankliche Position einnehmen. Er nehme bewusst multiple Positionen gleichzeitig ein. „Ich übernehme die Verantwortung für jede einzelne meiner Positionen und die Konsequenzen, die daraus entstehen. Aber es ist sehr schwierig diese Positionen in Worten auszudrücken. Deshalb spiele ich das Konzert!“

Und die erklären die komplexen musikalischen Zusammenhänge, Genres und Formationen, in denen Axel Dörner zu hören ist.

Multitude als Attitüde: Axel Dörner zeichnet sich durch seine Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit ebenso aus wie durch die Eindeutigkeit der jeweils artikulierten Spielposition. Multipositionierung, bei der ein enormer Spielgenuss nicht zu überhören ist. Ein wenig Eulenspiegelei auch nicht, was an dieser Stelle durchaus lobend gesagt ist…

„Habt ihr dazu irgendwelche Fragen?“

Axel Dörner lässt diese Frage nach einer halben Stunde tonlosen Luftklangs verlauten, der selbst einen Meister der Trompete wie ihn an seine physischen Grenzen stoßen lässt. „Ich habe bisher nur Luft gespielt“. Klar ist die Luft Träger des Klangs, aber so hat man die Luft, Abwesenheit von Ton, noch nicht gehört: Eine radikale Reduktion der Klangerzeugung produziert eine opulente Klangfülle. Askese mündet hier eindeutig in Genuss. Ergebnis einer radikalen Position. Spätestens seit Gert Valeskas Tanzperformance „Pause“ und John Cages 4.33 ist das klar.

Rhys Chatham, der nächste Gast in der Reihe der Hamburger „Präsentationen“, macht dies eine Woche später in ganz anderer Weise hörbar. Die postminimalistisch fundierten „totalistischen“ Gitarrenklänge und –rhythmen seiner improvisierten Band, von seiner Gitarre aus mit infizierendem Enthusiasmus dirigiert, heizen unwiderstehlich ein. Was im Fall von Rhys Chathams E-Gitarren-Orchestersounds sich nahezu wollüstig entwickelt, stellt im Fall der frühen Komposition „Two Gongs“ so manches Ohr auf die Grenzerfahrungsprobe…

Bisher präsentiert hatten ihre musikalischen Positionen in Hamburg Rhys Chatham, Eddie Prévost, Mathias Spahlinger, Alvin Curran, Hanna Hartman, John Oswald, Jorge Sad, Luciano Chessa, Phill Niblock , Alvin Lucier, Tim Hodgkinson, Zentrum für Aktuelle Musik – Köln, Christian Wolff, Christoph Ogiermann, Dieb 13, Gene Coleman, Peter Ablinger + Sven Ake Johannson, John Tilbury, Sabine Sanio, Asmus Tietchens, Rhodri Davies.

Ob Axel Dörner denn eine Intention habe, ist eine der kritischen Fragen, welche die ZuhörerInnen allerdings haben. Er erzeuge Klangstrukturen, die er selbst hören möchte und die seine Sinne schärften – und damit auch die des Publikums. Wahrnehmungsverfeinerung als gesellschaftliches Engagement.

„Ich höre Klänge dann anders, kann etwas als Klang genießen, woran ich früher nur vorbeiging. Jetzt kann ich jede akustische Umgebung genießen.“ Ja, auch Intentionen habe er viele, eine besonders gesellschaftsrelevante sei die Kommunikation mit anderen MusikerInnen sowie dem Publikum. Austausch und Zusammenspiel verlangten, eigene Positionen zu verändern. Gerade auch Genregrenzen zu überwinden, deshalb verwende Axel Dörner Genrebegriffe wie Jazz, Pop oder klassische Musik nur noch im Notfall – als Orientierung. Positionierung wäre dann Orientierung mittels einer provisorisch eingenommenen Position, die im Sinn der – musikalischen – Bewegung sofort wieder zu verlassen wäre? Früher habe er mit den genrespezifischen Regeln und Erwartungshaltungen sowie den Schwierigkeiten der geistigen Umstellung gekämpft, wenn er zwischen klassischer, elektronischer Musik, Jazz und Improvisation wechselte. „Jetzt ist das alles eine Art von Musik geworden. Nur die ‚Zutaten‘ müssen passen und je nach Kontext musikalisch Sinn ergeben.“

Dementsprechend fallen auch Dörners Antworten auf die Fragen aus, wie er den Bezug zwischen seinem elektronischen und akustischen Musizieren herstelle und inwieweit seine Musik improvisiert oder komponiert sei. „Ich mache elektronische Musik mit einem akustischen Instrument und elektronische Musik ohne Strom.“ Und er wisse schon vor dem Konzert, was er spielen werde, deshalb sei die Unterscheidung zwischen improvisierter und komponierter Musik fragwürdig; er könne seine Improvisation aufzeichnen und nachspielen. Improvisation sei genauso unfrei und methodisch wie die Interpretation einer Komposition frei sei. „Das hängt vom Freiheitsbegriff ab.“

Zum Stichwort Freiheit fallen Axel Dörner der Jazz ein als rebellische Geisteshaltung und großzügige Lebensart; das Wort benutze er aber selten… Dabei leuchten seine Augen – und die Ohren der Zuhörer, denen er gerade eine seiner Jazzaufnahmen vorgespielt hat.

In der Reihe der Präsentationen folgen am 17. April der Gema-Aktionsmusiker Johannes Kreidler, am 19. Juni der kalifornische Musiker, Komponist und Musikjournalist Gino Robair. Und: „Wir planen ein Wochenende mit mehreren Gästen, die unterschiedliche Positionen vertreten, mit Zeit und Möglichkeiten für intensive Diskussionen für alle Beteiligten“, kündigt Heiner Metzger vom VaMH an und resümiert damit die Perspektivik der musikalischen Positionspräsentationen. Stellt sich eine letzte Frage: Wäre es nicht konsequent, die Diskussion inhärent musikalisch zu führen – oder ist die Diskussion selbst als musikalische zu hören? Diskussion nicht als Metaphysik, sondern als musikalische Physis.

Während nun Johannes Kreidler behauptet: „Die Ensemblekultur der neuen Musik ist in die Jahre gekommen. Ohne zusätzliche Lautsprecherklänge empfinde ich die kleinen gemischten Instrumentalbesetzungen als einigermaßen schal geworden“(3), bezieht Axel Dörner radikale Position auf seinem Stuhl, einzig seine Trompete unterm Arm, Blick auf die Stuhlpositionen des Publikums. Er spiele immer dasselbe Stück, das sich weiterentwickle mit jeder kleinsten dispositiven Veränderung; dazu gehöre auch der Hörer, der beim Zuhören seine eigene Musik mache sowie die Konzertsituation, deren klassische Variante dafür am besten geeignet sei.  

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich irgendwann einmal an einen Endpunkt kommen werde, wo ich alle Möglichkeiten der Trompete erforscht und ausgereizt haben werde, nicht einmal akustisch. Das ist faszinierend.“

So different die Positionen und die Form ihrer Präsentation sowie des zugehörigen Konzerts sind, so dezentral-multiple die Orte, an denen sie stattfinden. Vom autonomen Zentrum Centro Sociale über fast verborgene Hörbar bis zur etablierten Theaterfabrik Kampnagel verortet sich die Hamburger Vortragsreihe situationistisch in der fragmentierten Musiklandschaft Hamburgs.

 

Jorinde Reznikoff, 04/2011

 

 

  • Die Vermessung der Welt, 2005, S. 42
  • Eugène Ionesco, Die Stühle, Reclam 2001, Klappentext
  • Johannes Kreidler, in Positionen 84, August 2010, S. 13