Die Modeaktivistin Vivienne Westwood

Auch wenn die Modeaktivistin Vivienne Westwood seit Jahrzehnten im Modebusiness ihr Imperium errichtet hat, bleibt sie dem Recherchiergeist, der Empörung und dem geistreich frechen Kreieren treu, welches sie vom „Sex“-Laden zu Label und Notorietät geführt hat.

Ihr Schneiderhandwerk lernte sie, die Tochter einer Weberin, durch ein Auseinandernehmen und Neuzusammensetzen von Kleidern. Und das entwickelte sie mit der behenden Beweglichkeit einer wachen Zeitgenossin situationsgerecht immer weiter. In den 1970er Jahren gründete sie gemeinsam dem gewitzten Managerkünstler Malcolm McLaren, ihrem damaligen Mann, in der King’s Road 430 einen Laden, dessen wechselnde Namen allein ein vielsagender Genuss sind: „Let it rock at Paradise Garage“ – in Zusammenhang mit den „Teds“, „Too Fast To Live, Too Young To Die“ – als Reaktion auf den frühen Tod von James Dean, „Sex“ – als Protest gegen die prüde englische Gesellschaft, „Seditionaries – Clothes for Heroes“ („Aufwiegler“) und „World’s End“ mit der rückwärtslaufenden Uhr über dem Eingang. Der Laden ist heute noch besuchenswert. Dann kam mit den von McLaren gemanagten (oder auch – fast – manipulierten) Sex Pistols der wohl berühmteste Einsatz der damaligen Vivienne Westwood, mit dem sie immer noch in allererste Verbindung gebracht wird: Das Shirt mit der Queen, der Augen und Mund mit den dada-situationistisch inspirierten „God save the queen – Sex Pistols“ zugeklebt sind.*

Diese Pionierjahre würdigt sie in ihrer ehrlich-detaillierenden Mono- bzw. Autobiographie „Vivienne Westwood“ (mit Koautorin Ian Kelly). Doch längst ist sie in Leben, Gedanken und Stil weiter. 1983 hat sich ihr Weg getrennt von dem des 2010 verstorbenen McLaren, diesem AnarchoDandy und feinsinnig-großmäuligen Kings des hochromantischen Charme des Scheiterns.

Seit 1992 lebt und arbeitet sie mit dem sehr viel jüngeren Österreicher Andreas Kronthaler zusammen. Und diesem Liebespaar bei ihren öffentlichen Auftritten zuzusehen, ist ein besonderes Vergnügen. Zuletzt ist möglich am Ende der Show Vivienne Westwood Gold Label – Autumn/Winter 2015-16 – Paris Fashion Week zum Thema Unisex küssen sich die beiden innig, nachdem an Stelle des traditionellen Hochzeitkleides ein küssendes Paar in Unisex-Hochzeitskleidung aufgetreten ist. Unisex meint jedoch nicht wie gewöhnlich asexuelle Kleidung, die jeder sich geschlechtsunspezifisch überziehen kann, sondern das Vertauschen der aktuell Mann und Frau zugeordneten Kleidungsstücke. Dabei sind wir bereits gewöhnt an den Anblick von Frauen, die Männerkleidung tragen. Doch Männer, die Overknees, Leggings, Kleider, ausladende barocke Röcke und Korsette und darüber auch noch Stammesfransenröcke tragen, überrschen und stoßen an, wenn sie nicht einfach nur amüsieren. Doch das wäre zu wenig. Denn was wäre, wenn wirklich mehr möglich und zu entdecken wäre ? Was, wenn wir über die sozialisierten Rollenbilder, mit denen wir uns selbst und die anderen einengen, hinausgingen? Was, wenn wir Selbstbilder aufzubrechen, zu befreien wagten? Zum Hin-Aus-Probieren lädt Mode ein, der radical chic von Vivienne Westwood in besonders radikaler Weise. Und das, indem sie in der Kleiderkammer der Menschenmode stöbert. In der der Europäer, mit besonderer Vorliebe für die Barockzeit, die den Augen-Blick auf der ephemeren Bühne des Lebens in expressiv-üppiger Weise zu feiern wusste und Männern die Freiheit des Weiblichen zutraute. Und in der außereuropäischer Kulturen, die um die wirklichkeitsverändernde Kraft von Kleidung wusste und noch ein wenig ahnen lässt. Der Geist der Punks und Situationisten lässt mit unverminderter Intensität grüßen.

Dieser Rebellionsgeist verschließt sich nicht in der Modewelt, sondern spürt den politischen und ökologischen Zusammenhängen nach und startet daraus Protestaktionen. In den vergangenen Jahren drückte sich das aus in Kampagnen wie der der Climate revolution mit dem Untertitel „Everything is connected“. In diesem Zusammenhang macht sich die Mode-Businessfrau auch für slow fashion stark. In einem Interview, ob das auch für ihr eignes Label gelte, sagte sie vor einer Londoner Modenshow: 

„Of course I try not to waste and my way of not wasting is to try to concentrate on quality not quantity. And you know my message, it is buy less, choose well, make it last.” (ecosalon 2012)

2007 verfasste Vivienne Westwood ihr Manifest „Active Resistance to Propaganda“, in der sie Bedeutsamkeit von kultureller Arbeit für die Gesellschaft unterstreicht:

„We have the choice to become more cultivated and therefore more human – or by muddling along as usual we shall remain the destructive and self-destroying animal, the victim of our own cleverness (To be or not to be)… Our journey to find art will show that art gives culture and that culture is the antidote to propaganda.“ Die Begleiter auf dieser Reise seien: „Alice, Pinocchio, Art Lover (an anthropologist), True Poet (an alchemist)“. activeresistance.co.uk

Zur Zeit sind Vivienne Westwood und Andreas Kronthaler mit dem Motto „Politicians are criminals“ unterwegs ist mit u.a. Aktionen gegen das Fracking, das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP und für Textilkooperationen. Es ist ein Motto, welches anstößt – aber als Aufforderung zum In-die-Verantwortung-gehen natürlich nicht nur Politiker, sondern jeden Menschen betrifft, der auf dieser Erde unterwegs ist. (Das ist meine Meinung.)

Wie konsequent und kundig durchdacht diese Aktionen jeweils sind und welchem Verhältnis sie zu dem Vivienne Westwood-Imperium stehen, ließe sich natürlich hinterfragen. Doch treten diese Aktionen gewiss Wellen los, die etwas bewirken – so wie auch jedes nonkonforme Gewand etwas mit Träger und Betrachter macht. Von der Mode sagt Vivienne, sie habe Aufgabe und Fähigkeit, Menschen menschlicher zu machen – nur Menschen unterstehen der Notwendigkeit, sich zu kleiden, und können aus dieser Notwendigkeit Freiheits- und Glücksgefühle generieren.

Natürlich hat Vivienne Westwood auch angesichts des entwürdigenden Umgangs der britischen Regierung mit Flüchtlingen vielfach Stellung bezogen. Zuletzt (5.9.2015) prägte sie die ins Herz treffende Formel:  „Wir werden alle Flüchtlinge.“ 

Nachtrag 10 Tage später: VW fährt mit einem weißen (!) Panzer vor Camerons Haus. Eine Anti-Fracking-Aktion. 

*Inzwischen erkennt sie die Arbeit der Königin Elisabeth durchaus an und schätzt insbesondere den Umweltaktionismus von Prinz Charles.