Erinnern, wer wir sein könnten… Alice Rohrwachers „Lazzaro Felice“.

Alice Rohrwacher @ Zurich Film Festival

Es gibt sie – Kunst, die einen besser macht. Der Film „Lazzaro Felice“ von Alice Rohrwacher gehört definitiv dazu. Er erzählt von der fernen Welt eines italienischen Dorf, das zu Zwecken der Ausbeutung von einer Marquesa alter Tyrannenschule und ihren Gehilfen in Isolation und Unwissenheit gehalten wird, bis ihr rebellischer Sohn sich eines Tages als Eremit neuerfindet und von der Polizei gesucht wird. Mit ihm werden die versklavten Dorfbewohner entdeckt und -– scheinbar – befreit. Ängstlich werden die Armen über ein Wasser gelotst und finden sich an den Rändern einer Stadt in Behelfsunterkünften wieder.

Lazzaro war ihr Sklave gewesen, ein geliebter Sklave, der alles  tat, was sie ihm auftrugen – frei von jedem Urteil, dankbar und strahlend. Adriano Tardiolo verkörpert ihn – ja man muss sagen, er ist Lazzaro, seine Gestalt ist der Film, die ganze Geschichte. Sein Blick taucht das elende Geschehen um ihn herum in ein völlig anderes Licht – heilt es, indem er es anders sieht, denn sein Blick erkennt nur das, was vor der Scheidung in Gut und Böse da war. Und das tut er mit einer solchen  Fraglosigkeit und Selbstverständlichkeit, dass der Zuschauer mit ihm mitschwingt und ihm gar keine Chance lässt, sich vor-urteilend abzuwenden. Ein heiliger Narr, der nicht aus der Bahn zu werfen ist, weil er von keiner Bahn dieser Welt einnehmbar ist, nicht von dieser Welt ist. Dass das so überzeugend gelingt, ist nicht zuletzt Adriano Tardiolo zu verdanken, der Lazzaro verkörpert. Er wurde von Alice Rohrwacher und ihren Assistenten in einer Schule entdeckt und war nicht leicht dazu zu überreden mitzuwirken. Überhaupt wirkt der ganze Film wie eine Geschichte aus uralten Zeiten, die zeitlos und doch völlig gegenwärtig ist – einfach gültig. Die cineastische Handschrift von Alice  Rohrwacher bewegt sich traumwandlerisch zwischen Realismen, Surrealismen, Symbolen und Wundern und zeugt von einer altmeisterlichen Sicherheit, die „stupore“ – Verwunderung hervorruft,  direkt verwandt mit Torheit, „stupidity“, wie sie selbst betont. Die abstrakten Landschaften Giottos und die Gestalten Piero della Francescas standen Pate.